... Man erinnere sich: Vor einem halben Jahrhundert war es radikal, das scheinbar Selbstevidente nicht mehr zu erzählen. Wenn jemand von einem Ort zum anderen geht, kündigt er das im einen Bild an und ist im nächsten schon da - wie er diese Strecke hinter sich gebracht hat, ist klar oder einfach nicht wichtig. Aber wenn man einmal mit solchen Verdichtungen anfängt, merkt man bald, wie vieles man vielleicht nicht mehr erzählen muss oder will, bis man an einen Punkt kommt wie Pointeker, der in wenigen Bildern von Straßen und Gebäuden und ab und an Menschen eine schwer zu überschauende Masse an Geschichten
hardcore-modern erzählt. Das Auto mit seinem Lichtkegel zu Beginn evoziert ikonisch die gesamte Geschichte des
film noir, jedes folgende Bild - viel Nacht - scheint das zu bestätigen, bis am Ende statt einer Geschichte in einem Genre ein Genre als Geschichte und damit eine ganze Kultur, nämlich die des Kinos, erzählt wurde.
Coup de cinéma: Im letzten Bild gibt es etwas, das wie Synchronton wirkt - konkrete Dokumentarwahrhaftigkeitsgefühle wallen plötzlich auf, alles grad Gesehene emphatisch verifizierend -, nur wo ist der Mensch, dessen Schritte man da hört? Die Gegenwart der Dinge bleibt und ihr Strahlen, ihre oft so prächtigen Farben. Es könnte im Übrigen auch sein, dass in einem anderen ikonografischen System
. ..... .:.:...:::ccccoCCoooo:: eine Liebesgeschichte erzählt.
Ausschnitt aus: Olaf Möller: Welche Zeit ist länger: die vor der Geburt oder die nach dem Tod?, in: CINEPLEX. Experimentalfilme aus Österreich, Ausstellungskatalog Secession Wien 2009
Der Begriff "Ellipse" bezeichnet in der Filmterminologie die Auslassung, das, was zwischen den Szenen passiert, was das Publikum nie zu Gesicht bekommt und sich deshalb selbst "zusammenreimen" muss. Ben Pointeker wendet in seinem experimentellen Kurzfilm
. ..... .:.:...:::ccccoCCoooo:: die elliptische Erzählstrategie auf eine ins Extrem gesteigerte Weise an. Die Arbeit wirkt fast ein wenig so, als würde man eine chronologische Aneinanderreihung von Szenen sehen, welche beim "Final Cut" eines Spielfilms - vielleicht einer Kriminalgeschichte - der Schere zum Opfer gefallen sind. Zu sehen sind präzise arrangierte Tableaus, die zumeist urbane "Unorte" bei Nacht wie menschenleere Straßen, Plätze oder Bahnhöfe zeigen. Manchmal ist im Hintergrund eine elegant gekleidete Frauenfigur zu sehen, die durchs Bild schreitet. Pointekers Verweigerungshaltung geht aber noch weiter: Nicht nur durch die Montage der Sequenzen verbirgt er mehr, als er zeigt, auch die Bildinhalte bieten nur wenig, woran sich das Publikum orientieren könnte. Die meisten Einstellungen sind in eine tiefe Dunkelheit gehüllt, die nur partiell erhellt wird. Bei dieser unheimlichen Film-Miniatur sind die Zuseherinnen gezwungen, sich selbst einen "Reim" auf das Geschehen zu machen, wobei natürlich Erinnerungen an unzählige Genrefilme wachgerufen werden. Auch der Sound wird mit äußerster Sparsamkeit und höchst pointiert eingesetzt. Der Großteil des Films wird stumm vorgeführt, nur selten erklingen kurze Tonfragmente, welche die unmittelbar darauf wieder folgende Stille umso intensiver wirken lassen. Pointeker hat jede Art von konkreter Textlichkeit aus seinen Werken verbannt, selbst auf einen geschriebenen Vor-oder Nachspann verzichtet er. Der Titel ist die schriftbildliche Wiedergabe der ersten Einstellung des Films, des "Vorspanns": eine Szene, in der die völlig schwarze Bildfläche durchbrochen wird von einem Paar winziger Autoscheinwerfer, die aus der Vogelperspektive aufgenommen die Bildfläche von rechts nach links queren.
Norbert Pfaffenbichler in:
CINEPLEX. Experimentalfilme aus Österreich, Ausstellungskatalog Secession Wien 2009